ESG
Die Krise der Nachhaltigkeit?

Die sogenannten ESG-Kriterien, also Environment, Social und Governance, sind aus der Finanzbranche nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile haben sich laut der Financial Times 273 Asset Manager weltweit mit einem verwalteten Vermögen von 61,3 Billionen US-Dollar der Net Zero Asset Managers-Initiative angeschlossen. Eine Studie von J. P. Morgan Asset Management hat zudem gezeigt, dass 73 Prozent der Privatanleger ihr Geld in nachhaltige Geldanlagestrategien investieren. Und zu guter Letzt flossen im Jahr 2021 mehr als 500 Milliarden Dollar in nachhaltige ESG-integrierte Fonds, was zu einem 55-prozentigen Wachstum des verwalteten Vermögens in diesen Produkten beitrug. Für Privatanleger wie für institutionelle Investoren gilt: ESG ist gekommen, um zu bleiben.

Doch die schnell wachsende Nachfrage nach ökologischen Finanzprodukten hat die Finanzindustrie vor neue Herausforderungen gestellt. Eines der grundlegenden Diskussionsthemen ist so zum Beispiel im Moment die Frage der Definition. Was ist Nachhaltigkeit überhaupt und wie kann nachhaltig investiert werden? Wie unterschiedlich die Wahrnehmung bei diesem Thema ist, zeigte die Entscheidung der Europäischen Union, Kernkraft und Gas als nachhaltig zu labeln. Wo in Ländern wie Frankreich oder Finnland die Resolution begrüßt wurde, reagierten hierzulande viele mit Kopfschütteln.

Das beschäftigt auch die von Citywire Deutschland befragten Vermögensverwalter. Neben der Definitionsfrage beklagen viele Vermögensverwalter etwa die uneindeutige Regulatorik:

„Wenn der Finanzdienstleistungssektor schon an den unverständlichen Terminologien und hier insbesondere an den nicht enden wollenden, unverständlichen Begleittexten, die von Technokraten verfasst wurden, zu scheitern droht, wie hilflos dürfte erst der Kunde dastehen?“
meint etwa Martin Wiegelmann von der SMS & Cie.

Ähnlich sieht es Alrik Haug von der Reuss Private Bank für Wertpapierhandel. „Die Flut an regulatorischen Vorgaben und Maßnahmen wirft leider teilweise mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Das führt bei der Suche nach den jeweils für die Anleger passenden Finanzinstrumenten ein ums andere Mal zu der Erkenntnis: ‚Grün ist nicht gleich grün‘.“

Doch die Regulatorik ist im Moment nur eine der vielen Baustellen des ökologischen Finanzuniversums. So dominiert Greenwashing in aller Regelmäßigkeit die Schlagzeilen der gängigen Finanzpublikationen. Die Branche droht ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, sollte sich dieser Trend fortsetzen. Bereits jetzt hört man immer öfter den zynischen Kommentar, dass es sich bei ESG nur um Marketing handelt. Dass gehandelt werden muss, steht mittlerweile nicht mehr zur Debatte. Die Realität des Klimawandels hat das in den vergangenen Jahren verdeutlicht. Viel mehr stellt sich die Frage, wie nachhaltiges Investieren am besten gelingen kann und welche Weichen dafür in Zukunft gestellt werden müssen.