Vermögensverwalter in Deutschland erleben ein unruhiges Jahr. Der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation sowie die Zinserhöhungen der Zentralbanken sorgen an den Märkten für Unruhe. „Die Leute haben Angst und unsere Aufgabe ist es, ihnen diese zu nehmen“, erzählt Christian Funke von der Source for Alpha beim Top-50-Business-Roundtable. Wegen der vielen Krisen sei der Gesprächsbedarf bei seiner Kundschaft aktuell besonders hoch. Auch die Kunden von Mario Drotschmann von der Value Experts Vermögensverwaltung fürchten um ihre Investments. „Die Märkte spielen verrückt und deswegen müssen wir jetzt proaktiv auf die Kunden zugehen und ihnen die Ängste nehmen“, erklärt Drotschmann.
Die volatilen Märkte mögen zurzeit manche um den Schlaf bringen, aber grundsätzlich steht es um die Branche gut. Dafür verantwortlich waren einerseits der Niedrigzins, andererseits die Hausse an den Märkten und das wachsende Interesse der Privatanleger an Investment-Themen. Der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) schreibt etwa, dass „2021 ein Ausnahmejahr“ war. Wie eine Studie der Hochschule Aschaffenburg zeigt, geht es der Branche aber schon seit Jahren gut: Das von unabhängigen Vermögensverwaltern verwaltete Vermögen und die Kundenzahl haben sich seit 2014 mehr als verdoppelt.
Auch Christian Funke von der Source for Alpha blickt zufrieden auf die vergangenen zwei Jahre: „Wir haben in den letzten zwei Jahren einen regelrechten Boom im Wertpapiergeschäft erlebt.“ Neben vielen Herausforderungen habe die Coronapandemie auch Chancen mit sich gebracht. Durch die beschleunigte Digitalisierung konnte sein Unternehmen etwa neue Vertriebswege erschließen. Ähnlich positiv sieht es Markus Schön von der Schön & Co. Der in Detmold ansässige Vermögensverwalter glaubt, dass durch die Coronapandemie und die dadurch entstandene Unsicherheit bei den Kunden der Beratungsbedarf enorm gestiegen ist.
Traditionsbanken decken diesen Beratungsbedarf oft nur ungenügend ab, was den unabhängigen Vermögensverwaltern wiederum in die Karten spielt. Markus Schön meint etwa, dass sich viele Kreditinstitute aus der Breite zurückgezogen hätten, weswegen viele Kunden lieber zu unabhängigen Vermögensverwaltern gehen würden. „Den Menschen ist der persönliche Dialog wichtig. Unseren Kunden reicht ein Videogespräch mit einem Bankberater in 50 Kilometern Entfernung nicht.“
Christian Fischl von Huber, Reuss & Kollegen sieht vor allem in der persönlichen Beratung den großen strategischen Vorteil der Vermögensverwaltung gegenüber den Banken. Vor allem die generationsübergreifende Beratung sei ein wichtiger Baustein. „Vermögensverwalter verfolgen keine ‚Friss oder stirb‘-Mentalität, sondern können genau analysieren, was der Kunde braucht.“ Denn nicht für jeden sei eine digitale Beratung via Videokonferenz der Königsweg. Vor allem ältere Generationen würden das gedruckte Papier der modernen App vorziehen. Christian Funke beobachtet eine ähnliche Entwicklung und merkt zusätzlich an, dass die Abwanderung von Banken nicht nur die Kunden, sondern auch die Berater betreffen würde. „Unabhängige Berater haben kein Provisionsinteresse. Wir sehen diese Entwicklung als Chance für die unabhängige Vermögensverwaltung“, meint Funke.
Je mehr Kunden, desto höher der Bedarf an geschultem Personal. Wie eine Studie des Instituts für Vermögensverwaltung (InVV) zeigt, wenden Vermögensverwalter für Neu- wie auch für Bestandskunden über 40 Prozent ihrer Zeit auf. Qualifiziertes und im Kundenumgang geschultes Personal ist also elementar für die Vermögensverwaltung. Wie viele andere Wirtschaftszweige in Deutschland, ist auch die Finanzbranche von einem Personalmangel betroffen. Eine Erhebung der Personalmarktforschung Index hat gezeigt, dass im ersten Halbjahr 2022 deutsche Banken 65.094 offene Stellen ausgeschrieben haben – 81 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In einer jüngst veröffentlichten Studie des InVV stuften etwa 70 Prozent der befragten unabhängigen Vermögensverwalter die Anwerbung von qualifiziertem Personal als „größte unternehmerische Herausforderung“ ein.
Auch bei der Personalgewinnung spielen Banken eine Rolle für die Vermögensverwalter. Mario Drotschmann von der Value Experts Vermögensverwaltung meint etwa: „Wir sind die letzten Jahre stark gewachsen und konnten vor allem Berater von Groß- und Privatbanken als Mitarbeiter gewinnen.“ Er glaubt, dass viele Berater aufgrund des eigenen Anspruchs an ihre Beratung die Banken verlassen würden. „Auf einen Berater kommen hier teilweise 150 bis 200 Kunden. Da ist eine individuelle Betreuung nicht mehr möglich.“ Personal wird bei der Value Experts Vermögensverwaltung im Moment vor allem im Backoffice gesucht. „Hier haben wir teilweise größere Probleme, Mitarbeiter zu finden, als bei den Beratern.“
Genau umgekehrt verhält es sich bei Schön und Co. Während es genug Mitarbeiter für das Backoffice gibt, hat Schön Probleme, gut ausgebildete Portfolio- und Relationshipmanager zu finden. „Das mag vielleicht dem Standort Detmold geschuldet sein, der ja nicht gerade als der Bankenplatz Deutschlands bekannt ist“, witzelt Schön. Während er beim Backoffice gerne auf das Personal von regionalen Kreditinstituten zurückgreift, ist seine Einstellung gegenüber ehemaligen Bankberatern etwas verhaltener. Schön setzt deswegen auf junge Talente. „Wir bevorzugen es, junge Leute zu suchen, die wir dann noch selbst ausbilden.“
Nicht nur die Betreuung von Neukunden erfordert geschultes Personal, sondern auch die Flut an neuen Regularien und Vorschriften. Denn neben der Kundenbetreuung müssen sich deutsche Vermögensverwalter immer wieder mit neuen gesetzlichen Bestimmungen auseinandersetzen. Seit Anfang August sind Anlageberater nach der Mifid II dazu verpflichtet, ihre Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen. Ebenso sind ESG-Kriterien nicht mehr aus dem Arbeitsalltag wegzudenken. Dass regulatorische Vorschriften nicht nur Mehrarbeit sind, sondern auch Chancen bieten können, meint Mario Drotschmann: „Vor allem als mittelständisches Unternehmen hat man die Möglichkeit, neue Regularien schnell umzusetzen und damit den Kunden mehr Sicherheit zu geben.“ Besonders Mifid empfindet er als Notwendigkeit und meint, dass die Value Experts Vermögensverwaltung bereits vor der Einführung einen Großteil der Vorschriften freiwillig umgesetzt hat. Kritischer blickt er hingegen auf die aktuellen ESG-Vorschriften. „Wir glauben, dass der Gesetzgeber bei ESG noch nachbessern muss.“
Auch Markus Schön blickt positiv auf den aktuellen Regulierungsstand. „Es ist ein Vorteil, stark reguliert zu sein, weil man sich dadurch vom grauen Kapitalmarkt abgrenzen kann.“ Allerdings würden mit mehr Vorschriften nicht automatisch alle schwarzen Schafe vom Markt verschwinden. „Das Motto ‚Je mehr Regulatorik, desto besser‘ sollte nicht gelten. Wir brauchen stattdessen treffsichere Vorschriften.“ Verbesserungspotenzial sieht auch Christian Fischl. „Der Gesetzgeber ist dabei eventuell zu forsch rangegangen und muss bei den aktuellen ESG-Vorschriften noch nachbessern. Zurzeit stellt man sich hier selbst ein Bein.“
Ein weiteres viel diskutiertes Thema ist die Konsolidierung der Vermögensverwaltungsbranche. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Berichte über größere Zusammenschlüsse. Zuletzt sorgten die Übernahme der Bayerischen Vermögen durch Lloyd Fonds oder der Zusammenschluss von vier Vermögensverwaltern unter dem Dach von Cinerius Financial Partners für Aufsehen. Die Teilnehmer der Diskussionsrunde blicken mit gemischten Gefühlen auf diese Entwicklung. „Ich glaube, wir haben im Moment viel Bewegung, ob daraus eine Welle wird, weiß ich nicht“, meint Christian Funke. Grundsätzlich empfinde er es aber als eine gute Entwicklung. „Wir haben auch schon den ein oder anderen Mitbewerber beziehungsweise Einzelkämpfer aufgekauft. Insofern sehen wir hier immer Chancen.“ Markus Schön sieht die Lage etwas kritischer. „Ich betrachte diese Entwicklung mit Sorge. Sollte die Konsolidierung voranschreiten, wird sich der Druck auf kleinere und mittlere Unternehmen erhöhen, sich zusammenzuschließen.“
Neben diesem Umstand würden durch das offensive Auftreten zweier finanzstarker Akteure die Marktpreise nach oben getrieben. „Wenn man verkaufen will, ist es bei den aktuellen Preisen der perfekte Zeitpunkt. Auf der Käuferseite fragt man sich dann häufiger: ‚Wie soll sich das denn noch rechnen?‘“ Auch Mario Drotschmann betrachtet die Zusammenschlüsse eher kritisch. „Bei größeren Finanzinvestoren muss man immer im Hinterkopf behalten, dass diese auch eine Exit-Strategie verfolgen.“ Christian Fischl hingegen sieht in der Konsolidierung sowohl Chancen als auch Risiken. Die Branche sei erwachsen geworden, deswegen sei es nur natürlich, dass sich viele Unternehmen um die Generationsplanung kümmern. Allerdings sei es dabei immer wichtig, dass am Ende „der Wurm auch dem Fisch schmeckt und nicht nur dem Angler.“